Reinigers Forschungsnotizen

Reinigers Forschungsnotizen

Erster Eintrag

Toni, ich hoffe, du verzeihst mir, dass ich in diesen Notizen alle Formalitäten fallen lasse, die wir sonst in der Öffentlichkeit wahren müssen, aber ich muss meinen Gefühlen Ausdruck verleihen. Verdammt, Toni. Scher dich zum Höllenschlund und weiter.

Ich sitze hier und schreibe dies – alleine, wohlgemerkt – an einem unzumutbar harschen Frühlingsabend bei nachlassendem Laternenlicht. Und ich bin wütend.

Ich bin wütend, dass mir nicht mehr alles gleichgültig ist. Dass du mich, so sehr du mich auch zur Weißglut bringst, mit deiner unbekümmerten Einstellung und deiner Freude an Entdeckungen irgendwie angesteckt hast. Dass ich trotz allem wieder meine Liebe zur Archäologie gefunden habe. Deinetwegen.

Ich bin wütend, dass du nicht hier bist, um dich mit mir zu zanken. Um bei einem Bier über Ideen zu diskutieren. Ich bin stinksauer, dass ich da stand und mir feige auf meine Zunge biss, während Xephos dir den verfluchten Splitter gab.

Ich bin wütend, dass du verschwunden bist. Ich kann nicht verschwinden, Toni. Niemand verlässt Silhouette.*

Wie jeder gescheite geheime Kult behält Silhouette die eigenen Mitglieder im Auge – stellt sicher, dass man gehorcht und Lord Zaros' Willen aus dem Schatten Folge leistet. Sie hören das erste Wort des Widerspruchs, das einem über die Lippen kommt – daher mein strahlendes Auftreten und munteres Grinsen.

Deshalb schreibe und bündle ich diese 'Forschungsnotizen' und verwahre sie dann an einem sicheren Ort. Falls ich einen Fehler mache und die Inquisition mich erwischt, möchte ich, dass zumindest eine kleine Chance besteht, dass etwas meiner Arbeit überlebt. Dass du, wenn du es irgendwie schaffst, selbst wieder einen Weg nach Hause zu finden, vielleicht sehen kannst, dass ich versucht habe, das Richtige zu tun.

Ich werde dich finden, Toni. Und ich werde dich zurückbringen.

*Ach, tu nicht so. Du musst gewusst haben, dass in der Gilde etwas im Gange ist.



Zweiter Eintrag

Ich untersuche den Monolithen schon, seitdem du verschwunden bist. Man könnte sicher ein Leben lang damit verbringen, dieses Ding zu begutachten, und es trotzdem nicht einmal ansatzweise verstehen, doch eine Sache ist mir ganz besonders aufgefallen.

Einige eigenartige Glyphen, die älter sind als alles, was ich bisher zu entziffern versucht habe. Etwas wie sie habe ich noch nie zuvor gesehen.

Für diese Aufgabe sind selbst unsere geschätztesten Lehrbücher nicht geeignet. Ich brauche Quellenmaterial.

Ich kenne Xephos schon seit den Anfangstagen, noch bevor wir die Gilde infiltrierten. Er rekrutierte mich, um Nabanik beim Wiederaufbau des Tempels zu helfen. Er fand eine scheiternde Studentin und gab ihr einen Zweck. Er schätzt meinen Einfallsreichtum, aber er hat mir nie wirklich vertraut. Deshalb behält er mich dort, wo er ein Auge auf mich behalten kann.

Er hat mir die Aufgabe gegeben, eine Expedition nach Orthen zu organisieren. Dort gibt es ein Artefakt, welches Lord Zaros begehrt. Eine aussichtslose Mission, natürlich – nicht eine Person, die wir losgeschickt haben, ist je wiedergekehrt. Aber ich habe gehört, dass in der Umgebung Artikel linguistischer Signifikanz zutage gebracht wurden. Ich denke, einen Versuch ist es wert.

Ich werde einige unserer skrupellosen Nachwuchstalente losschicken. So sieht es aus, als hätte ich es versucht, und ihr Verlust wird für mich nicht zu viele schlaflose Nächte verursachen. Und noch jemanden. Eine Person, der ich vertrauen kann, sich unbemerkt davonzumachen und mit dem wiederzukehren, wonach ich suche. Falls es dort überhaupt ist.

Bis bald, alter Freund.

PS: Kein Wort zu irgendwem darüber, dass ich dich so genannt habe.

PPS: Ich meine es ernst. Nicht einmal, wenn ich tot bin.



Dritter Eintrag

Nachdem ich einen Monat lang sinnlos über den Monolithen gegrübelt habe, war ich kurz davor, die Hoffnung zu verlieren. Doch heute ist meine Agentin zurückgekehrt.

Sie hat es tatsächlich geschafft, einige Steintafeln mit Zeichen zu beschaffen, die den eigenartigen Glyphen ähneln – sowie auch einige eindeutig von Ahnendrachen stammende Schriften. Alles andere als perfekt, aber genug, um damit arbeiten zu können – mit genug Zeit.

Eine Sache: Man munkelt, Lord Zaros hätte sich eingeschaltet, als die Expedition scheiterte, und sich das Artefakt selbst geholt. Dass er selbst eingreift... Ich bin mir ganz ehrlich nicht sicher, was das bedeutet.

Ich weiß allerdings, dass ich eine Zeit lang keine Aufmerksamkeit mehr erregen sollte. Glücklicherweise gibt es in der Welt der Archäologie einen aufsteigenden Stern, der mir bei meinen Aufgaben als Gildenmeisterin behilflich ist. Dies ist meine Chance, etwas in den Hintergrund zu treten.

Meine neue, freie Zeit werde ich nutzen, diese Texte zu studieren. Das nennt sich dann wohl Freude am Entdecken, oder so.

Halte durch.



Letzter Eintrag

Dies wird meine letzte Nachricht sein. Ich habe Schwierigkeiten, das zu verstehen, was ich entdeckt habe. Und was nun kommt... Ich weiß es einfach nicht.

Mit den Tafeln aus Orthen waren die Glyphen relativ einfach zu übersetzen. Schatten... dann eine weitere Glyphe. Existenz (im Superlativ). Also... Schattenmaterie? Der Schatten von allem? Schatten überall?

Und dann verstand ich. Ein symbolischer Ausdruck, kontextualisiert durch 'Konflikt': Eine Antithese. Die offenbarte Negativität.

Anathema.

Ich konnte nicht anders. Ich sprach das Wort laut aus, sobald ich darauf kam, und die Glyphen glühten hell auf. Das Licht wurde immer heller, bis alles, was ich sah, nur noch Licht war, und dann...

Dunkelheit. Ein Ruck in meinem Bauch, während ich nach vorne fiel. Ein Gefühl der Räumlichkeit, und doch nichts. Eine unendliche, gähnende Weite, die mich überkam und... nichtig machte.

Ich kann es nicht beschreiben, Toni, aber das muss ich auch nicht. Ich weiß, dass es das ist, was du an jenem Tag spürtest – am Tag, an dem du verschwandest.

***

Mit kalten Schweißausbrüchen kam ich wieder zu mir und jetzt – wo mein Verstand versucht, das zu verarbeiten, was ich gesehen habe (oder nicht gesehen habe) – verschwinden meine Erinnerungen schneller, als ich schreiben kann.

Lord Zaros ist auf dem Weg, das weiß ich nun. Mit einem geeigneten Reagenzmittel wird er zweifellos in der Lage sein, das zu beenden, was ich begann, als ich das Wort aussprach. Was auch immer er plant, darf nicht passieren.

Ich werde meine Kontakte nutzen und die Nachricht an alle weitergeben, die sie hören wollen. Die Welt muss wissen, was auf uns zukommt. Sonst wird alles enden.

Ich könnte rennen, aber ich würde nicht weit kommen. Ich bleibe besser hier und stelle mich meinem Schicksal.

Wir sehen uns bald, Toni. So oder so.



Dein RuneScape-Team


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